Gastbeitrag von Prof. Hendrik Speck, Teil 2, “Social Networks müssen Verantwortung tragen”
Gestern äußerte sich Professor Hendrik Speck, Dozent der Fachhochschule Kaiserslautern, zu der riesigen Datenmenge, die im Netz zur Verfügung steht und beleuchtete die Vor- und Nachteile dieser Flut. Im zweiten und letzten Teil geht es auch darum, dass ein strategischer Wechsel in der Datensicherung unabdingbar ist – zudem fordert er einen Code of Ethics.
Wem gehört mein Adressbuch?
Plattformen sind sich bewusst, dass sich sämtliche Werte ihre Plattformen direkt auf die Nutzer zurückführen lassen – sie versuchen deshalb alles technisch Mögliche, sozial Tolerierte und gesetzlich Erlaubte, um die Verweildauer der Nutzer zu erhöhen und sie vom Abwandern abzuhalten. Dabei erschaffen sie mit ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen Barrieren für den Nutzer, um diesem die Kontrolle der eigenen Adressbücher und sozialen Kontakte zu verweigern. Obwohl davon auszugehen ist, dass derartige Konstrukte in letzter Instanz keinen Bestand haben werden, sind zumindest momentan die Nutzer in ihrer Rolle als Eigentümer ihrer sozialen Kontakte benachteiligt. Die Frage der Datenportabilität, das Recht der Nutzer zum Verwalten, Löschen und Mitnehmen ihrer Daten wird aufgrund der Grabenmentalität der sozialen Netzwerke erst durch regulativen Druck entschieden werden können. Für den Nutzer geht es dabei nicht nur um die Wahrnehmung der gleichen Rechte wie beim klassischen Adressbuch, es geht auch nicht nur um den unkomplizierten Wechsel von einer Plattform zur anderen, sondern um grundsätzliche Fragen des Verständnisses der Privatsphäre: Die Plattform Popularität ist großen Schwankungen unterworfen und können durch einen eventuellen Verkauf oder eine weitere Übernahme die zur Profilierung ganzer Nationen notwendigen Datenmengen sehr schnell einer ausländischen Macht zum Opfer fallen, Datenschutz mit nationalstaatlich orientierten Wertevorstellungen erweist sich dann schnell als Makulatur.
Das Hauptproblem liegt in der zentralen Datenspeicherung, die mit ihren unzähligen Profilinformationen automatisch zum bevorzugten Zielobjekt für kommerzielle und kriminelle Interessen wird. Einige vermeintliche Sicherheitsbarrieren stellen kein Ernst zu nehmendes Hindernis dar. Fast alle populären Plattformen sind deshalb mehrfach Hackerangriffen zum Opfer gefallen.
Das Problem beginnt beim Nutzer
Ein strategischer Wechsel kann sich insbesondere für neuartige soziale Netzwerke als Differenzierungsmerkmal erweisen. Der gesellschaftliche Lernprozess wird dabei durch die kleineren und größeren Katastrophen der Marktführer unterstützt werden. Die Schwierigkeiten beginnen bei den Nutzern: Innerhalb der bei Studenten beliebten Plattform StudiVZ wurde das Kunstwort und Kontaktaufnahmetool Gruscheln von mehreren hundert männlichen Teilnehmern offensichtlich als Erlaubnis zum virtuellen Grabschen und Kuscheln interpretiert, in Gruppen organisiert, wurden zielgerichtet weibliche Netzwerkteilnehmer „angesprochen“. Die wesentlich größere amerikanische Plattform MySpace zeichnet sich jedoch auch in diesem Bereich aus: innerhalb weniger Jahre entwickelte sich die Plattform zur beliebten Kontaktbörse für Sexualstraftäter.
MySpace dient auch als Anschauungsbeispiel für die Schwierigkeiten an der Nahtstelle von Technologie und Privatssphäre – für die Angriffe auf komplexe Systeme mit relevanten Datenbeständen ist oft eine einzige Schwachstelle hinreichend. Dabei erweisen sich insbesondere die technisch überholten Schutzmaßnahmen als schaler Trost für die Betroffenen.
Die Einstiegsschwelle ist gesunken
Die veränderte Form der Teilhabe ist mediengeschichtlich erklärbar: In den Gründungsperioden des Internet und des World Wide Web war Spezialwissen Voraussetzung für den Zugang und den Einstieg in das Medium. Die damit implizierten Lernphasen und –mühen, das Eintauchen in die Programmiersprachen und Darstellungssysteme, die Beschränkungen der unpopulären Inhalte und die nicht unerheblichen Kosten des Zuganges bildeten einen weitestgehend natürlichen Filter gegen kommerzielle und kriminelle Bemühungen. Mit der Senkung der Einstiegsschwellen, durch die Schaffung grafischer Benutzeroberflächen, mit der Kommerzialisierung und Popularisierung des Internet, durch die Herstellung von Öffentlichkeit durch standardisierte Blogs und später mit dem Rückzug in die vorgefertigten Raster des Populären, der sozialen Netzwerke, ist eine Veränderung der Medienkompetenz und Ethik zu beobachten. Dabei kann sich nicht nur die Selbsterfassung des Einzelnen als problematisch erweisen – bedenklich ist auch die Erfassung und Vertaggung Anderer, die Konstruktion von Abbildern ohne Beteiligung oder Zustimmung des Betroffenen.
Mit der Dominanz des Ewigen verlieren soziale und urchristliche Konzepte des Verjährens, Vergessens, aber auch des Vergebens ihre Bedeutung. Zu Erwarten ist deshalb eine Anpassungsleistung der Gesellschaft, aber auch eine zunehmende Verpflichtung für den Einzelnen, eine permanente Identitätspflege zu betreiben. Diese Demokratisierung der Öffentlichkeitsarbeit kann sich jedoch für eine Mehrzahl der Nutzer als unlösbare Aufgabe erweisen, eine demokratische Teilnahme am Meinungsbildungsprozeß ist dann nicht mehr gegeben. Diese Beinflussung der freien Meinungsäußerung durch die Vorzensur der informationellen Selbstbestimmung steht für die Verletzung eines schützenswerten Grundrechtes – es ist deshalb vorstellbar, dass ähnlich wie bei anderen technologischen Innovationen, Regulierungsbehörden aufgrund des offensichtlichen Versagens der Plattformanbieter nach reiflicher Güterabwägung regulierend eingreifen werden.
Verantwortung tragen
Die Popularität und die damit verbundene Anerkennung sozialer Netzwerke als Massenmedium erhöhen auch den Druck auf die Plattformen. Soziale Netzwerke sind auf ihre Nutzer dringend angewiesen – ohne Nutzer, ohne Respektierung der Nutzerrechte und der damit verbundenen gesetzlichen und moralischen Richtlinien verlieren die Plattformen nicht nur sämtliche verwertbaren Güter und Geschäftsmodelle, sondern auch ihre moralische Daseinsberechtigung. Es gilt auch hier: Wer die öffentliche Meinung prägt und mit ihr spielt, muss letztendlich auch Verantwortung tragen. Diese Verantwortungsübernahme kann durch regulativen Druck erfolgen, bevorzugt ist aber eine Selbstregulierung im Rahmen der Freiwilligen Selbstkontrolle der MultiMedia Anbieter. Intelligente Plattformen werden dabei – wie andere Massenmedien auch – auf die Bereitstellung eines Beirates aus fachlich und sozial Qualifizierten, Datenschutzbeauftragten, Verbraucherschützern, beziehungsweise durch die Nutzer delegierten Teilnehmern zurückgreifen. Dieser Beirat dient als Vermittlerforum.
Ebenso wichtig erscheint die Erarbeitung eines verpflichtenden Code of Ethics sowohl für die Nutzer, Anbieter aber auch für die Werbetreibenden der sozialen Netzwerke, der sowohl die berechtigten Vermarktungsinteressen der Anbieter, aber auch die gesellschaftlich und individuell veranlagten Interessen der Teilnehmer beruecksichtigt. Ein solcher vom Beirat zu verabschiedende Code sollte insbesondere die rechtlichen und sozialen Bedürfnisse europäischer Nutzer ansprechen – und sich damit positiv von seinen amerikanischen Vorbildern unterscheiden.
Zur Person:
Prof. Hendrik Speck lehrt an der FH Kaiserslautern im Fachbereich Informatik/Interaktive Medien, wo er das Information Architecture/Search Engine Labor der Fachhochschule leitet. Er lehrte bzw. gab Workshops an der International School of New Media, European Graduate School, New School of Social Research und an der Columbia University. Prof. Speck referiert auf Konferenzen und publiziert über Multimedia, Media and Communications, Search Engines, Intellectuel Property, Open Source, E-Learning, Data Security und Information Operations.